Nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens beginnt bei Privatinsolvenzen die sogenannte Wohlverhaltensperiode. Diese endet nach Ablauf von 6 Jahren seit Insolvenzeröffnung i.d.R. mit der Erteilung der Restschuldbefreiung.
Soweit in dieser Zeit Steuererstattungsansprüche fällig werden, kann das Finanzamt dagegen mit eigenen Insolvenzforderungen aufrechnen. Dies hat der BGH mit Urteil vom 21.07.2005 – IX ZR 115/04 entschieden.
Fallbeispiel:
Über das Vermögen des Schuldners wird am 01.02.2010 das Insolvenzverfahren eröffnet. Das Finanzamt meldet eine Forderung für Einkommensteuer 2008 i.H.v. 10.000 € zur Tabelle an. Am 05.01.2011 wird das Verfahren aufgehoben. Eine Quote für die Gläubiger ergibt sich nicht. Anfang 2012 reicht der Schuldner seine Einkommensteuererklärung für 2011 beim Finanzamt ein. Aus dem Steuerbescheid vom 30.04.2012 ergibt sich eine Erstattung i.H.v. 1.000 €. Das Finanzamt kann gegen diesen Erstattungsanspruch mit seiner Einkommensteuerforderung für 2008 aufrechnen und muß nichts an den Schuldner auszahlen.
Diese Aufrechnungsmöglichkeit besteht bis zur Erteilung der Restschuldbefreiung. Danach fällt die Forderung des Finanzamtes zwar nicht weg, ist aber nicht mehr durchsetzbar. Damit entfällt eine wesentliche Voraussetzung für die Aufrechnungslage.
Die o.g. Rechtsprechung erschwert insbesondere die Gründung eines neuen Unternehmens in der Wohlverhaltensperiode. Hier entstehen gerade zu Beginn der Geschäftstätigkeit oftmals Vorsteuer-Guthaben, die für die Liquidität dringend benötigt werden. Rechnet das Finanzamt gegen diese Erstattungsansprüche mit Altforderungen auf, wird dem Betrieb schon zu Beginn die wirtschaftliche Grundlage entzogen. Hier hilft es nur, den Betrieb in einer Rechtsform zu eröffnen, die dem Finanzamt die Möglichkeit zur Aufrechnung von vorneherein nimmt.
Diese Aufrechnungsmöglichkeit gilt übrigens allgemein, nicht nur für das Finanzamt. Jeder Gläubiger kann in der Wohlverhaltensperiode mit Insolvenzforderungen gegen Ansprüche des Schuldners aufrechnen. Nur wird in aller Regel kaum ein Gläubiger in die Situation dazu kommen. Das Finanzamt kann man sich hingegen als “Vertragspartner” nicht aussuchen.
Denkbar ist dies aber z.B. bei Mietverhältnissen. Oftmals bestehen bei Insolvenzeröffnung Mietschulden, die vom Vermieter zur Tabelle angemeldet werden. Das Mietverhältnis wird aber fortgesetzt. Entstehen nun in der Wohlverhaltensperiode Erstattungsansprüche des Mieters, z.B. für Nebenkosten, so kann der Vermieter mit den alten Mietforderungen dagegen aufrechnen. Allerdings ebenfalls nur bis zur Erteilung der Restschuldbefreiung.